Schutzgut Mensch – kein Schutzgut 2. Klasse!!!



13-12-2002


Wie Frau Winzer-Lang heute morgen detailliert ausgeführt hat, wurde das Schutzgut Mensch in der UVS nur unzureichend untersucht, und zwar reduziert auf die 2 Teilbereiche: „Wohnen/Wohnumfeld“ und „Freizeit/Erholung“.

Das wichtigste Gut, das wir besitzen, unsere Gesundheit, unser Wohl, unsere körperliche Unversehrtheit, werden nicht berücksichtigt, scheinen der DSK und ihren Gutachtern nicht wichtig zu sein.

Wo steht in der UVS zum Beispiel: „Wir haben die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen auf den Menschen untersucht.“? Mir stellt sich hier die Frage, ob die Gutachter und auch die DSK ihre Sorgfaltspflicht in dieser Hinsicht verletzt haben. Die Menschen am Niederrhein sind kein Schutzgut 2. Klasse.

Herr Scheuten hat ausgeführt, dass rechtlich keine weiteren Untersuchungen erforderlich sind, und nach dem Berggesetz müssen wir sowieso alles hinnehmen. Da stellt sich doch die Frage, warum die UVS überhaupt in Auftrag gegeben wurde. Das Geld dafür hätte man sich sparen können. Ein Satz hätte gereicht und den Inhalt der UVS treffend zusammengefasst: „Durch den Einsatz gegensteuernder Maßnahmen sind keine negativen Auswirkungen zu erwarten.“

Es geht hier und heute nicht (zumindest nicht direkt) um Sachschäden, sondern um die Schädigungen des Menschen, um eigenständige Belastungen, die natürlich teilweise auch durch Beschädigungen des Wohneigentums hervorgerufen werden.

Es treten 3 Arten von Belastungen auf:


  1. direkte Auswirkungen von baulichen Schäden am Wohneigentum (= soziale und ökonomische Belastungen)
  2. Belastungen durch psychischen Stress
  3. Gesundheitliche Belastungen durch Stress sowie durch Verschlechterung verschiedener Aspekte des Lebensraumes

    Zu 1) Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Einwirkungen auf das Wohneigentum. Kinder, aber auch alte Menschen, halten sich überwiegend im Wohnumfeld auf und ich finde, unsere Kinder müssen geschützt werden, das sind wir ihnen schuldig!!!

    Wenn unser Wohneigentum also derart massiv gefährdet wird wie durch das Abbauvorhaben der Antragstellerin, ich denke hier neben den Bergschäden auch an die für uns am Annaberg neue Überflutungsgefahr durch Absenkungen, dann können und wollen wir das nicht hinnehmen.

    Zu 2) psychischer Stress:

    Dieser wird hervorgerufen durch:

    - Sorgen um die eigene Existenz und die Lebensgrundlage
    - Unsicherheit über das gesamte Ausmaß der Schäden und damit die eigene Zukunft
    - Ohnmachtsgefühle durch Bedrohung der Privatsphäre, des Wohnumfeldes, der Gesundheit, der Natur
    - Gefühl, ohnmächtig und hilflos auf die Schäden warten zu müssen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass schwere Beeinträchtigungen und Schäden im Vorfeld nicht abzuschätzen sind (viele Probleme ergeben sich erst beim Abbau).
    - Ängste aufgrund der besonderen Situation am Niederrhein: 70 km der Deiche sind sanierungsbedürftig / der Abbau unter dem Rhein (für uns ist die Genehmigung des RBP Walsum nicht nachvollziehbar) / Ängste vor Deichbruch und Überflutung / erstmals Überflutungsgefahr von Annaberg

    Zu 3) Gesundheitliche Auswirkungen:

    Zuerst möchte ich die Auswirkungen der Angst auf unsere Gesundheit nennen:

    - Angst macht krank.
    - Angst lähmt unser Denken und Handeln.
    - Angst schmälert unsere Lebensqualität.
    - Angst beschert uns schlaflose Nächte.

    Daneben sind noch die Erderschütterungen und Knallgeräusche als Auslöser zu nennen. Dies sind typische Begleiterscheinungen des Bruchbaus.

    Menschen reagieren auf Erschütterungen stark negativ, insbesondere bei diskontinuierlichen Geräuschen (schlagartiges Auftreten der Erschütterungen, das nicht vorhersagbar ist).

    Pressungen und Zerrungen sind oft mit impulsartigen Geräuschen verbunden. Dies gehört aber unbedingt in eine UVP zum Bergbau und seinen Einwirkungen auf die Wohnbevölkerung dazu. Für mich sind die gesamten Auswirkungen des Vorhabens von Seiten der DSK und der Gutachterin verniedlicht worden.

    Der Mensch reagiert sehr empfindlich auf Erderschütterungen und registriert bereits Schwinggeschwindigkeiten unter 0,1 mm pro Sekunde.
    Derartige Erderschütterungen treten häufig mehrmals am Tag oder – was noch schlimmer ist – mehrmals pro Nacht auf.

    Ich habe die Befürchtung, dass meine Tochter (4 Jahre) durch diese Erschütterungen nicht nur in ihrer sorgenfreien Umwelt, also beim Spielen im Haus, im Garten, auf der Straße, auf dem Spielplatz oder im Kindergarten / in der Schule, sondern auch gesundheitlich beeinträchtigt wird.

    Viel schlimmer stelle ich mir diese Beeinträchtigungen durch Erderschütterungen und Knallgeräusche in der Nacht vor. Meine Tochter hat auf das Erdbeben im Sommer dieses Jahres heftig reagiert, sie ist verängstigt aus dem Schlaf gerissen worden und konnte nicht verstehen, was passiert war. Wenn diese Erderschütterungen in Zukunft häufiger in der Nacht auftreten sollten, befürchte ich – bzw. befürchten wir, denn viele andere Mütter, mit denen ich über dieses Thema gesprochen habe, haben die gleichen Sorgen und Ängste – dass unsere Kinder Ängste aufbauen (als Folge davon nicht mehr einschlafen wollen), aus ihrem Schlaf gerissen werden und beruhigt werden müssen, wodurch natürlich dann auch der Schlaf der Eltern erheblich – quasi in doppelter Weise – beeinträchtigt wird. Als Beispiel/Vergleich kann man hier auch Gewitter nennen. Auch vor Gewitter haben Kinder (und sogar Erwachsene) Angst, selbst wenn man ihnen immer wieder sagt, dass sie keine Angst zu haben brauchen.

    Zur Information: allein auf der Gerhard-van-Clev-Straße in Annaberg leben zur Zeit fast 100 Kinder, die vom Abbau unter Annaberg erheblich beeinträchtigt würden. Und wenn nur 1 Kind Ängste aufbaut, Schlafstörungen oder sogar gesundheitliche Probleme bekommt, das ist das 1 Kind zuviel!!!

    Wir müssen mit den Ängsten unserer Kinder und möglicherweise mit den eigenen Ängsten fertig werden – und das über einen sehr sehr langen Zeitraum.

    Vor dem Hintergrund des Auslaufens dieser maroden Branche (wie die Tagespresse gestern Forderungen innerhalb der Politik zitierte, soll es bis 2010 nur noch 4 Bergwerke geben) sowie den gemeinschädlichen Auswirkungen ist das für uns nicht mehr hinnehmbar.

    Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass es sich nicht nur um eine rein subjektive Belästigung der Anwohner handelt (wie Herr Dr. Klingmüller in seinem Gutachten zu den Erschütterungseinwirkungen aus untertägiger Kohlegewinnung für das Bergwerk Ensdorf dargestellt hat).

    Die DSK spielt das Problem immer wieder herunter und sagt, dass keine Gesundheitsschäden bekannt sind bzw. an sie herangetragen wurden. Ich gehe davon aus, dass die Unkenntnis der DSK darauf beruht, dass die DSK zum einen solche Schäden nicht sehen will und dass zum anderen viele Bürger den notwendigen Nachweis eines solchen gesundheitlichen Schadens nicht erbringen können oder wollen und resigniert haben ob der „Machtposition“ der DSK. Darüber hinaus sind eben nur wenige Mütter so aktiv wie z.B. wir in der Nachbarschaftsinitiative. Sie, Herr Dr. Grün und ihre Kollegen, können sicher sein, dass ich – sollte es wider jeden Menschenverstandes doch zum Abbau unter dicht besiedelten und hochwassergefährdeten Gebieten (hier Annaberg, Alpsray, Millingen u.a.) kommen – in dem von mir skizzierten Fall jeden Spezialisten aufsuchen würde, um Ihnen entsprechende Nachweise zu erbringen und eine Entschädigung zu verlangen. Das sorgenfreie Leben und die Unversehrtheit meines Kindes stehen für mich an erster Stelle! Und dafür werde ich kämpfen!

    Die Gesundheit der Menschen ist jedoch – Schadensersatz hin, Entschädigungen her – nicht mit Geld zu bezahlen oder wieder gut zu machen. Hier muss ein Umdenken in den Köpfen aller Beteiligten erfolgen. Was einmal geschädigt ist, ist nicht mehr zu kitten. Wir haben Angst vor bleibenden Schäden – vor allem bei den Kindern und jungen Menschen.

    Man versucht uns von Seiten der DSK immer zu beruhigen nach dem Motto: „Wir zahlen für Schäden, dann ist doch alles in Ordnung.“
    Doch die DSK wird nur für einen Bruchteil der zu erwartenden materiellen Schäden zahlen. Für Ängste, Schmerzen und Krankheit sowie geminderte Lebensqualität wird sie überhaupt nichts zahlen – sie erkennt diese ja nicht einmal an.

    Es geht hier auch nicht um einmalig auftretende Erdbeben-Ereignisse. Ich verweise hier auf das Wortprotokoll Walsum und die Aufzeichnungen eines Anwohners in Mehrum, der in nur 10 Wochen mehr als 350 Ereignisse aufgezeichnet hatte. Die Zahl mag von Abbaugebiet zu Abbaugebiet schwanken, deutlich wird aber, dass es sich auch bei uns sicher nicht um ein „einmaliges Vorkommen“ handeln wird.

    Ich will gar nicht daran denken, dass es neben anderen gesundheitlichen und psychischen Folgen sogar zu Verhaltensstörungen und schulischen Problemen bei Kindern kommen kann. Ich möchte auch kein Horror-Szenario zeichnen, sondern die Ängste und Sorgen vieler Mütter bzw. Eltern zum Ausdruck bringen.

    Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass viele Menschen den überwiegenden Teil ihres Alltags in ihren Wohnungen bzw. ihrem Haus verbringen und dass die Wohnung/das Haus das wichtigste private Territorium des Menschen ist, dem Artikel 13 GG sogar Unverletzlichkeit garantiert.

    Die eigene Wohnung bzw. das eigene Haus ist jedoch ein wesentliches Element der Lebensqualität von Menschen. Jeder Eingriff in den Bestand, den Wert und die Funktionsfähigkeit der Wohnung stellt für die Betroffenen eine schwer wiegende Verletzung ihres primären Territoriums dar. Und wir als Betroffene können uns dagegen nicht angemessen schützen. Wir fühlen uns somit dem Vorhaben der DSK – trotz der Zusicherungen im Grundgesetz – schutzlos ausgeliefert. Weder der Zeitpunkt noch das Ausmaß des zu erwartenden Schadens kann vorhergesagt werden – wir schweben also förmlich im „luftleeren Raum“. Schon dadurch entsteht „psychologischer Stress“ (z.B. erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen, kardiovaskuläre Veränderungen)

    Aber: Die Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen ist ein verfassungsrechtliches Gebot.

    In der UVS wurden keinerlei Angaben über die Wohnqualität der Gebiete und die Auswirkungen gemacht, sondern lediglich der Bestand der Wohngebiete untersucht.

    Zur Erholungsfunktion möchte ich noch sagen, dass diese auch schon dadurch beeinträchtigt wird, dass wir Betroffenen im Falle von Bergschäden mit einer ständigen Handwerkerpräsenz leben müssen, unsere Freizeit auf Reparaturtermine abstimmen müssen und uns eben nicht mehr frei bewegen und erholen können.

    Ich möchte auch noch kurz auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, auf die Gefahr hin, von der Verhandlungsleitung auf TOP 8 verwiesen zu werden. Wir haben nämlich ebenfalls Angst vor der Materie „Wasser“, das haben wir ja schon an vielen Stellen dieses Erörterungstermins dargelegt, aber man kann diese von der DSK hervorgerufenen Gefährdungspotenziale gar nicht häufig genug nennen. Wir müssen mit dem Bewusstsein leben, auf alle Zeiten einem erhöhten Hochwasserrisiko ausgesetzt zu sein. Das macht uns und unseren Kindern Angst, und Sie werden mir beipflichten, dass Angstzustände für die Gesundheit nicht förderlich sein können. Ich kann und will es nicht begreifen und schon gar nicht akzeptieren, dass ein Wirtschaftsunternehmen das Recht haben soll, uns Menschen einer solchen Gefahr und Angst auszusetzen.

    Es handelt sich hier um eine unerhörte Zumutung und eine Minderung der Lebensqualität, die nicht geduldet werden darf!

    Ich sehe in dem geschilderten Eingriff in meine Lebensplanung, in meine Alterssicherung, in der Beeinträchtigung meiner Lebensqualität eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes. Ich muss massive Eingriffe in mein Leben hinnehmen, deren Sinnhaftigkeit niemand glaubhaft nachweisen kann, denen keinerlei Gemeinwohlinteressen mehr gegenüberstehen.

    Zum Schluss eine Frage an die DSK:

    Kann die Antragstellerin Untersuchungen, Quellen oder Informationen vorlegen, aus denen hervorgeht, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung ausgeschlossen werden kann?


    Andrea Michel
    13.12.2002