Deutsche Steinkohle fördert Radioaktivität in Fluss, Bach und Kanal.

Radioaktive Sedimente des Bergwerks West verseuchen Teile des linken Niederrheins.

Es nutzt Fossa und Altrhein praktisch als „Zwischenlager“ für radioaktive Abfälle.

Das wird jetzt nicht weiter unter den Teppich gekehrt.

Wenige Meter neben der Bundesstraße B 510 zwischen Rheinberg und Kamp-Lintfort erstreckt sich ein lang gestreckter, dichter Grüngürtel. Eine Idylle möchte man meinen. Das viele Grün verdeckt den historischen Kanal der Fossa Eugeniana. Der im Jahre 1626 begonnene Kanalbau von Rheinberg nach Venlo mündete einst am Rande von Rheinberg hinter einer Kammerschleuse in den Rhein. Heute, der Rhein fließt einige Kilometer weiter östlich, mündet die Fossa Eugeniana an dieser Stelle erst in den Rheinberger Altrhein und anschließend in den Rhein. Zuvor hat sie öffentlich zugänglich die Stadt durchflossen.

Die Fossa Eugeniana bildet ein Stück Rheinberger Geschichte. 1626 bis 1629 versuchten die Spanier unter Isabella Clara Eugenia, Statthalterin der spanischen Krone in den Niederlanden, einen Verbindungskanal zwischen Rhein und Maas zu schaffen, um die niederländische Republik vom lukrativen Rheinhandel abzuschneiden.

Heute steht die Fossa Eugeniana unter Denkmalschutz. Das Land NRW restaurierte 1983/84 gemeinsam mit der Linksniederrheinischen Entwässerungs-Genossenschaft (LINEG) das historische Ziegel-Mauerwerk der 4,90 m breiten und 5,00 m tiefen Kammerschleuse.

Wie überall in Deutschland hat der Steinkohlebergbau auch hier eine absolute Sonderstellung. Die Deutsche Steinkohle AG (DSK) darf alles.

Für das Bergwerk West leitet die Schachtanlage Friedrich Heinrich ihre Grubenwässer, nachdem sie ein Dekantierbecken durchlaufen haben, in der Nähe des Kloster Kamps in die Große Goorley, die wenig später in die Fossa Eugeniana mündet. Friedrich Heinrich hat bis zum 31.08.2013 eine Einleitgenehmigung für 4,2 Millionen m³ Grubenwässer pro Jahr. Zusätzlich pumpt der Schacht Rossenray seine Grubenwässer über ein Klärbecken in die Fossa Eugeniana. Diese ebenfalls bis zum obigen Datum zugelassene Einleitung beträgt maximal 7,8 Millionen m³ pro Jahr.

Allein mit einer maximalen Mengenvorgabe darf der deutsche Bergbau seine mit vielen chemischen Verbindungen verunreinigten zu Tage gepumpten Grubenwässer in die Oberflächengewässer einleiten. Je tiefer abgebaut wird, um so stärker sind die Grubenwässer mit Mineralien belastet. Die Genehmigung beinhaltet lediglich eine überdimensionale, nie erreichbare Mengenbegrenzung. In vierteljährlichen Abständen wird eine Wasseranalyse durchgeführt, die aber ohne Konsequenzen bleibt. Konzentrationsbegrenzungen und Fest-legungen von einzuleitenden chemischen Verbindungen (Schwermetalle, Chloride, Sulfate) fehlen und sind folglich auch nicht einzuhalten.

Mit Schwermetallen belastetes Bergematerial wird in den Rhein gekippt, um die durch bergmännischen Abbau unter Deutschlands größtem Strom abgesenkte Rheinsohle anzuheben.

Im Straßenbau wird umweltschädliches Bergematerial eingesetzt, weil es auf diese Weise kostengünstig zu entsorgen ist.

Das Bergematerial wird zu Halden aufgetürmt, die ohne umweltschützende Folienabdichtung „im Grundwasser stehen“.

Jeder Industriebetrieb, der Ähnliches beantragte, bekäme dafür entweder keine oder eine mit gravierenden Auflagen verbundene Genehmigung und müsste erhebliche Kosten für die Einleitung tragen. Das gilt wie immer nicht für den Bergbau.

Radioaktivität in Grubenwässern und ihren Sedimenten

Die Grubenwässer mit den darin enthaltenen chemischen Verbindungen belasten die Fossa Eugeniana, die durch die Stadt Rheinberg in den Altrhein fließt. Der historische Kanal ist ebenso wie der Rheinberger Altrhein im Gewässergütebericht des Landesumweltamtes NRW als biologisch verödet in die Güteklasse III – IV (sehr stark verschmutzt) eingestuft. Das ist die zweitschlechteste von insgesamt acht Güteklassen.

Das ist aber nicht alles.

Seit mindestens 25 Jahren ist der DSK bekannt, dass mit den Grubenwässern erhebliche Mengen natürlicher Radionuklide – speziell Radium-Isotope und ihre Tochternuklide – in die Vorfluter gelangen. Das gilt auch für das Bergwerk West. Dieser Tatsache haben bisher weder die Behörden noch die Öffentlichkeit Aufmerksamkeit geschenkt. So enthalten die Einleiterlaubnisse des Bergwerks West weder Hinweise noch Grenzwerte zum Thema Radioaktivität. Die Fossa Eugeniana ist jährlich mit einer zweistelligen Tonnage von mit Radium und seinen Tochternukliden kontaminierten Feststoffen der Schächte Friedrich Heinrich und Rossenray (ohne die Mengensteigerung durch den zusätzlichen Abbau unter Rheinberg/Annaberg) belastet.

Wie Abbildung 1 zeigt, wurde zwischen 1996 und 1999 an den beiden Einleitstellen des Schachtes Rossenray in die Fossa Eugeniana eine Gamma-Aktivität von 1.200 nSv/h bzw. 3.800 nSv/h (siehe Glossar des Hintergrundpapiers), im Stadtgebiet Rheinberg 130 bis

600 nSv/h und im Rheinberger Altrhein 80 bis 600 nSv/h gemessen. Die Gamma-Messungen wurden in jüngster Zeit (Oktober 2003) an den gleichen Stellen wiederholt. Sie betrugen an den beiden Einleitstellen in die Fossa 5.000 bis 7.400 nSv/h bzw. auf einer Sandbank am Ufer 5.500 nSv/h, im Stadtgebiet zwischen 270 und 630 nSv/h und im Rheinberger Altrhein 300 bis 510 nSv/h.

Nach Berechnungen von Feige würde eine Person, die sich jährlich ca. 1.000 Stunden  (ca. 3 Stunden/Tag) über kontaminiertem Sediment mit einer Ortsdosisleistung von 1.000 nSv/Stunde aufhält, einer zusätzlichen Strahlungsbelastung von 1 mSv/Jahr ausgesetzt. 

Die Ergebnisse sind damals wie heute erschreckend.


 


Abbildung 1. Erhöhte gesamte Gamma-Strahlung von Sedimenten und Böden durch Ein-leiten von Ra-226-haltigen Grubenwässern des Steinkohlenbergbaus in die Fossa Eugeniana am linken Niederrhein

              Quelle: S. Feige, J. Wiegand, The influence of coal mining on radon potential

                          Il Nuovo Cimento 1999, 22 (3 –4), 345 – 35

Die Strahlenschutzverordnung 2001 (§ 5) legt eine gesamte zusätzliche Dosis von 1 mSv/a für Einzelpersonen fest. Wer eine Tätigkeit ausübt oder plant, ist nach § 6 Abs. 1 der Verordnung verpflichtet, jede unnötige Strahlenexposition oder Kontamination von Mensch und Umwelt zu vermeiden. Nach § 6 Abs. 2 besteht weiter die Verpflichtung, jede Strahlenexposition nach dem Stand von Wissenschaft und Technik auch unterhalb der Grenzwerte so gering wie möglich zu halten.

Laut der Strahlenschutzkommission (SSK) bildet eine maximale Gamma-Ortsdosisleistung von 300 nSv/h einen wichtigen Richtwert. Bei Überschreiten dieses Schwellenwertes wird der Bereich in die Klasse 2 (relevant im Sinne einer Bundesaufgabe) eingeordnet.


 


Abbildung 2. Gemessene Ortsdosisleistungen [nSv/h] an der Fossa Eugeniana

                       (Aktualisierung von Wiegand et al. 1996)

    Quelle: S. Schmid, Untersuchungen zur Radionuklidbelastung von Oberflächenwässern, Sedimenten und Böden als Folge des Steinkohlenbergbaus im Ruhr-Revier, Dissertation, Universität Essen, 2001

Die Ergebnisse der oben genannten Messungen liegen also teilweise um ein Vielfaches über dem von der SSK festgelegten Richtwert. Die Messstellen befinden sich am Rheinberger Altrhein bei Ossenberg, wo Kinder spielen oder Hunde ausgeführt werden. Es handelt sich um eine Art Naherholungsgebiet dieses Stadtteils von Rheinberg.

Der Schutz der bisher nicht informierten Bevölkerung verdient absoluten Vorrang.

In diesem Sinne fordern wir:

1.      Ausschildern und Sperren der kontaminierten Flächen, obwohl das keinen Schutz vor gasförmigem Radon-222 (Halbwertszeit: 3,8 Tage) und dem nachwachsenden, recht langlebigen Tochternuklid Blei-210 (22,3 Jahre) bietet, das adsorbiert an Aerosol-partikeln in weite Umweltgebiete transportiert wird.

2.      Reinigen der Grubenwässer unter Tage, nach dem Stand von Wissenschaft und Technik, einschließlich untertägiger Deponie der Sedimente. Der polnische Steinkohlebergbau erscheint hier beispielhaft.

3.      Sanieren des Rheinberger Altrheins, der Fossa Eugeniana und der angrenzenden Vorfluter, so lange der Verursacher noch existiert und zahlen kann. Sonst ist davon auszugehen, dass nachwachsendes Blei-210 die Strahlungsaktivität künftig steigert.

4.      Zeitlich konstante Mengeneinleitung ohne ständig schwankenden Chloridgehalt.

5.      Bauen unterirdischer Leitungen für die Grubenwässer durch den Verursacher.

6.      Einleitgenehmigungen mit Grenzwerten für radioaktive Nuklide, Schwermetalle, Chloride, Sulfate und so weiter.

7.      Untersuchen des Trinkwassers im Binsheimer Feld auf Radioaktivität (Grenzwert    0,1 mSv / Jahr).

8.      Radon-Messungen in den Kellern benachbarter Gebäude der Fossa Eugeniana und des Rheinberger Altrheins auf Kosten des Verursachers.

9.      Entsorgen und Überwachen der Halde, auf der radioaktiver Klärschlamm/Sediment der Kläranlage von Friedrich Heinrich und Rossenray lagert.

10.  Routinemessungen und kontinuierliche Bewertung der Radioaktivität im vorhandenen Computernetzwerk mit geeignetem Programm, wie „intergrated measuring and information system for the surveillance of environmental radioactivity (IMIS)“.

Abschließend zieht Feige in seiner Diplomarbeit, Seite 140 folgendes Fazit: „Durch die Grubenwassereinleitungen des Steinkohlebergbaus kommt es zu umfangreichen Radionuklidkontaminationen der Gewässer, Sedimente und Böden. Von einer uneingeschränkten Nutzung ist nach den Empfehlungen der SSK abzusehen. Im Zuge der anzuratenden standortspezifischen Untersuchungen sind Sanierungsmöglichkeiten der belasteten Flächen und gegebenenfalls eine Verwahrung der Rückstände zu diskutieren. Die erprobten Verfahren bei der Sanierung der Hinterlassenschaften des ostdeutschen Uranerzbergbaus sind zu nutzen und verändert auf die Situation des Steinkohlebergbaus anzuwenden. Es ist zu empfehlen, die geltenden Rechtsvorschriften, die der Sanierung in der ehemaligen DDR zugrunde liegen, auch auf die alten Bundesländer zu übertragen, um eine doppelte Rechtssprechung in der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden.“

In diesem Zusammenhang berichtet das Bundesministerium der Finanzen in der von ihm herausgegebenen Broschüre: Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007, S. 26/27: „Für die Stilllegung der ehemaligen Uranbergbau- und Aufbereitungsbetriebe sowie für die Sanierung und Revitalisierung von Betriebsflächen der Wismut GmbH werden bis Ende 2003 voraussichtlich insgesamt rd. 4,17 Mrd. € ausgegeben worden sein. Darüber hinaus sind für 2004 Mittel in Höhe von 220 Mio. € vorgesehen sowie weitere 595 Mio. € für die Jahre 2005 bis 2007.“

Die zeitnahe Sanierung der hervorgerufenen Umweltschäden und die Verhütung neuer, weiterer Schäden gehört zu den dringendsten Aufgaben und Verpflichtungen des mittelfristig auslaufenden Steinkohlebergbaus am Niederrhein.